Zur Musik des 18. Jahrhunderts

Titelblatt des Faltblattes zur Mann- heimer Schule mit Kurfürst Carl-Theodor v. d. Pfalz nach einem Gemälde von J.H. Tischbein d.Ä. um 1770 (Reiss-Museum Mannheim)
Titelblatt des Faltblattes zur Mann- heimer Schule mit Kurfürst Carl-Theodor v. d. Pfalz nach einem Gemälde von J.H. Tischbein d.Ä. um 1770 (Reiss-Museum Mannheim)

Das hier vorgestellte Faltblatt über die "Mannheimer Schule" war ein musikwissen-schaftliches Projekt, dessen Vorarbeiten bis in das Jahr 1996 zurückreichen und im Jahr 2000 (anlässlich des Carl-Theodor-Jahres 1999 - 2000) mit dem Druck des von mir angefertigten und herausgegebenen Textes abgeschlossen wurde (Auflage: 10700 Stck.).

Die Faltblätter wurden daraufhin von der zentralen Verwaltung "Staatliche Schlösser und Gärten" in Karlsruhe in verschiedenen Schlössern in Baden-Württemberg und in Bayern durch die "Bayerische Verwaltung der Staatlichen Schlösser, Gärten und Seen" in München (in den Schlössern in Mannheim, Schwetzingen, Nymphenburg und anderen) ausgelegt. Während der Entstehungszeit des Textes wurde ich unterstützt von der "Forschungsstelle Mannheimer Hofkapelle der Heidelberger Akademie der Wissenschaften" (heute: "Forschungsstelle Südwestdeutsche Hofmusik der HAW", www.hof-musik.de) in Heidelberg und anderen themenbezogenen Institutionen.

Die Druckkosten für das Faltblatt wurden freundlicherweise von der SÜDZUCKER AG Mannheim/Ochsenfurt übernommen.

  Ich berichte hier über das Projekt (Faltblatt und unveröffentlichte Materialien) für Interessenten, die sich für die Musik des 18. Jahrhunderts und insbesondere für die Musik der "Mannheimer Schule" begeistern.

 

  Zunächst folgt jetzt der Wortlaut des Faltblattes in der letzten Fassung vom Frühjahr 2000 und anschließend folgen in einem Nachtrag eine Grafik zu den Lebensdaten der Mannheimer Komponisten und eine Beschreibung einer "Musikalischen Akademie" (Konzert), die W.A. Mozart am Freitag, den 13. Fabruar 1778 bei Christian Cannabich in Mannheim gab. Vorgesehen ist ferner ein Artikel über "Musik und Musiker in Venedig" vom 16. bis 18. Jahrhundert.

 

Das Literaturverzeichnis und Teile des Textes wurden mit Hilfe von Frau Dr. Bärbel Pelker, Forschungsstelle Südwestdeutsche Hofmusik, Heidelberg, auf den neuesten Stand (8/2009) gebracht. Ich danke Frau Pelker für Ihre Mitwirkung bei der Aktualisierung des Textes.

 

 

Die Mannheimer Schule

Eine kleine Geschichte der Kurpfälzischen Hofkapelle

 

  

Vorwort

... ohne widerspruch das beste in Teutschland!

(Leopold Mozart 1763 über die Mannheimer Hofkapelle)

 

 

 

Diese  kleine Schrift informiert über die Mannheimer Schule, über  einen Komponisten- und Solistenkreis und sein Orchester, der um die Mitte des 18. Jahrhunderts in Mannheim, am kurfürstlichen Hof Carl Theodors von der Pfalz,  über die lokale Bedeutung hinaus europäische Berühmtheit erlangte.

   Heute sind die Komponisten der Mannheimer Schule, ihre Namen und Werke, einem breiteren Publikum nicht mehr geläufig. Zu Unrecht! Denn obgleich die Musik der Mannheimer Schule noch nicht einmal annähernd erschlossen ist (mehrere Tausend Werke wurden registriert), steht doch ihre musikgeschichtlichen Bedeutung  für die nachfolgende Zeit außer Zweifel.

   Das vorliegende Faltblatt beschreibt das Mannheimer Musikleben um 1750, einige Komponisten und Solisten der kurpfälzischen Hofkapelle und ihr Orchester, das wohl fortschrittlichste und bekannteste seiner Zeit, ohne das ein modernes Sinfonieorchester und seine Musikkultur heute nicht denkbar wären.

   Der Erforschung ihres musikalischen Wirkens, ihrer sozialen Stellung innerhalb der Hofgesellschaft sowie der Sammlung und Aufbereitung ihrer Musik hat sich  die Forschungsstelle Mannheimer Hofkapelle der Heidelberger Akademie der Wissenschaften seit 1990 in großem Rahmen gewidmet. Die Forschungsergebnisse werden in einer eigenen Noten- und Schriftenreihe (Musik- bzw. Quellen und Studien zur Geschichte der Mannheimer Hofkapelle) publiziert.

  Das Reiß-Museum und die Städtische Musikbibliothek Mannheim verfügen über eine reichhaltige Sammlung an Musikalien und Zeitdokumenten, die der Öffentlichkeit zugänglich sind.

  Ich wünsche mir, daß viele Leser durch diese Schrift auf die Mannheimer Schule aufmerksam werden, das eine oder andere Werk eines Mannheimer Komponisten für sich entdecken (vgl. die Diskographie am Schluß), ihre Erlebnisse weitergeben und so zur Wiederbelebung der ehemals in Europa so beliebten und vielgespielten Mannheimer Musik beitragen.



Das Musikleben am Hof

Carl Theodors zu Mannheim

 

  Als Kurfürst Carl Philipp v. d. Pfalz im Winter 1720 mit seinem Hof und seiner Hofkapelle von Heidelberg nach Mannheim umzog und damit Mannheim zu seiner Residenz machte, nahm das wirtschaftliche und kulturelle Leben in dieser durch vorangegangene Kriege schwer heimgesuchten Stadt einen unerwarteten Aufschwung. Dieser setzte sich unter seinem Nachfolger Carl Theodor fort, als er 18-jährig, 1743 die Regentschaft der Pfalz übernahm, die Baupläne seines Vorgängers vollendete, nahmhafte Vertreter von Kunst und Wissenschaft an den Hof holte und Mannheim zu einem Musikzentrum von europäischem Rang  machte.

  Wie aus den offiziellen Hof- und Staatskalendern der Jahre 1748 - 1777 und anderen Quellen hervorgeht, gab es am Mannheimer Hof einen nahezu gleichbleibenden, an den christlichen- und anderen Fest- und Feiertagen orientierten kirchenmusikalischen Aufführungsplan. Dieser beinhaltete ein überaus reichhaltiges Repertoire an Kirchenmusik, das in der Regel in der Schloßkapelle zu hören war. Abgesehen von Theateraufführungen, Maskenbällen und anderen Feierlichkeiten, nahmen  Darbietungen von Opern (seria und buffa) Balletten und ab 1753 die „musikalischen Akademien“ den größten Raum im höfischen Musikleben ein. Diese vielbeachteten Konzerte der Mannheimer Hofkapelle fanden meist im sogenannten „Rittersaal“ des Mann-heimer Schlosses 1 - 2mal wöchentlich statt. Insbesondere für die Karnevalszeit ist ein festes Reglement solcher musikalischen Ereignisse überliefert.

  Ab 1753, mit der Eröffnung des Schloßtheaters  in Schwetzingen (das kurfürstliche Hofopernhaus wurde 1742 eingeweiht), gab es erstmals eine Wintersaison in Mannheim (von Nov. - Anf. Mai) und eine Sommer-saison in Schwetzingen. Hier wurde  ab 1773 in dem neuen Badhaus des Kurfürsten mit ausgewählten Musikern auch regelmäßig Kammermusik gespielt.

  Carl Theodor förderte fast alle Gattungen der Musik, die in Mannheim wie allerorts im 18. Jahrhundert der Unterhaltung und Repräsentation diente und  meist nur für bestimmte Gelegenheiten geschaffen wurde.

  Mit dem Umzug des Hofes nach München 1778 fanden die musikalischen und sonstigen Aktivitäten in Mannheim und Schwetzingen ein jähes Ende.



Die Mannheimer Schule

 

  Johann Stamitz (1717-1757) aus Deutsch-Brod in Böhmen, der 1741/42 von Carl Philipp nach Mannheim verpflichtet wurde, gilt als der Begründer der 1771 erstmals  schriftlich erwähnten Mannheimer Schule. Er war zur Zeit seiner Anstellung bereits ein bekannter Violinvirtuose und Komponist, der unter Carl Theodor 1743 zum Konzertmeister der Hofkapelle aufrückte. Zur Gründergeneration der Mannheimer Schule (bis 1747) gehörten ferner die Komponisten und Geiger Franz X. Richter, Alessandro Toeschi, M.F. Cannabich, Johann Jakob Cramer und Carlo Grua.

 Durch ihren gemeinsamen Einfluß entwickelte sich das Mannheimer Orchester bald zu einem über die Grenzen der Pfalz hinweg berühmten Klangkörper, der 1759 aus 38 - 40 aktiven Musikern verschiedener Nationalitäten (darunter 27 Streicher) bestand. Zum Bekanntwerden trug neben den Kompositionen von J. Stamitz insbesondere eine strenge Orchesterdisziplin bei. Zu den Neuerungen (nach italienischen Vorbildern), den so genannten “Mannheimer Manieren”, die neben anderen Merkmalen den Kompositionsstil der Mannheimer ausmachten, gehörten z.B. die einheitliche Bogenführung der Streicher, Crescendo und Tremolo des gesamten Orchesters, Generalpausen, die “Mannheimer Rakete” (aufsteigende Dreiklangsbrechungen), Seufzermotive und andere seinerzeit neuartige Effekte, mit denen die Mannheimer  Hofmusiker ihre Zeitgenossen begeisterten und mitrissen, wie aus verschiedenen Berichten von musikinteressierten Besuchern des Hofes hervorgeht.

  Das im Musikverlagswesen provinzielle Mannheim bot den Musikern bis 1773 keine Möglichkeit, ihre Werke drucken zu lassen, so daß sie sich vor allem nach Paris und London orientierten, um hier ihre Kompositionen herauszugeben und in öffentlichen Konzerten vorzustellen. So hielt sich J. Stamitz  1751 und 1754 für längere Zeit in Paris auf, wo er großen Erfolg hatte.

  Unter den Werken der 1. Mannheimer Musikergeneration sind nahezu alle Gattungen vertreten. Hervorzuheben sind die Sinfonien von J. Stamitz, der mit ihnen die neue Form der von der Oper losgelösten Orchestersinfonie schuf (4sätzig mit Menuett), die Kirchenmusik von F.X. Richter und die von I. Holzbauer (seit 1753 in Mannheim) komponierte  und 1777 in Mannheim uraufgeführte Oper “Günther von Schwarzburg” mit einem aus der deutschen Geschichte entnommenen Stoff.

 

Der frühklassische „galante“ Stil dieser Werke hatte sich um 1750 herausgebildet und wird gegenüber dem von Klangsymbolik und Affekten geprägten mehr intellektuellen Barockstil nur von der Melodie getragen, ist einfacher in der Begleitung (ohne Generalbaß), dynamisch kontrastreicher und insgesamt beweglicher sowie leichter verständlich. Infolge dieses Stilwandels entstanden neue Formen (Sinfonie mit Bläsern, Streichquartett, Sonate) und neue Instrumente (z.B. die Klarinette) wurden eingeführt. Daran hatten die gut bezahlten und sozial angesehenen Mannheimer Hofmusiker der 1. und 2. Schülergeneration einen maßgebenden Anteil. Zu den letzteren gehören u.a. die Söhne und Schüler von J. Stamitz, Anton (ab 1764) und Carl Stamitz (ab 1762), I. Fränzl (ab 1753), A. Fils (ab 1754) und als Nachfolger Christian Cannabich (1731-1798), der mit 13 Jahren in das Mannheimer Orchester eintrat.

  Ihr Schaffen umfaßt neben geistlicher und weltlicher Vokalmusik in erster Linie Orchestermusik (Sinfonien, konzertante Sinfonien, Konzerte und Solokonzerte) sowie Kammermusik.

  Außerdem gab es in dieser Generation eine Reihe bedeutender Vokal- und Instrumentalvirtuosen, die zum Teil auch komponierten (Musiker-Komponisten) und Unterricht erteilten, wie die Sopranistinnen Franziska Lebrun, geb. Danzi, und Dorothea Wendling, den Tenor Anton Raaff,  die Oboisten L.A. Lebrun und F. Ramm, den Flötisten J.B. Wendling, die Hornisten F. und M. Lang, den Klarinettisten F. Tausch u.v.a.m. Der Kurfürst selbst spielte Flöte (vgl. das Titelbild) und Cello. Er trat als Solist auf und beteiligte sich außerdem am Kammermusikspiel seiner Hofmusiker.

Die im Bereich der Kirchenmusik hauptamtlich tätigen Komponisten Carlo Grua (bis 1773) und Abbé Georg J. Vogler, letzterer Gründer der sogenannten Mannheimer Tonschule (seit 1776), traten weniger hervor, hatten aber, insbesondere Vogler, am kurfürstlichen Hof eine einflußreiche Stellung inne.

  In der Verbindung von solistischer Virtuosität, Orchesterdisziplin und kompositorischer Kompetenz wird heute die Bedeutung der Mannheimer für die Geschichte des Orchesters und für die Kompositionsgeschichte gesehen (Finscher 1992).

  Mozart, der 1777/78 auf seiner Reise nach Paris in Mannheim längere Zeit Station machte, hoffte in diesem Kreis hochrangiger Musiker einen Platz zu finden. Er pflegte intensiven Umgang mit den Wendlings und Cannabichs, nahm an verschiedenen Konzerten teil, führte eigene Werke auf, ließ sich als Klaviervirtuose hören, fand aber schließlich keine Anstellung am Hof.

  Nach  seiner Rückkehr aus Paris hatte sich die Situation in Mannheim grundlegend geändert. Im Frühjahr 1778 trat Carl Theodor das Erbe seines verstorbenen Vetters Joseph Maximilian III. von Bayern an, woraufhin der Hof nach München übersiedelte. Von diesem Umzug waren kurze Zeit später 32 Musiker der 3. in Mannheim beheimateten bzw. gebürtigen Musikergeneration, darunter auch Cannabich,  betroffen.

  Die zurückgebliebenen Musiker, wie  Fränzl, F. Danzi und Holzbauer, versuchten das Musikleben in Mannheim mit Dilettanten und sogenannten „Lieb-haberkonzerten“ aufrechtzuhalten. Der Aderlaß an Berufsmusikern war jedoch zu groß, um das hohe Niveau der  Mannheimer Hofkapellentradition fortzusetzen. Die „... Schule des wahrhaft guten Geschmacks in der Tonkunst“ (C.F.D. Schubart 1784) geriet mit Beginn des 19. Jahrhunderts, nachdem mit dem Tod Carl Theodors 1799 die Subventionen für Mannheim von seinem Nachfolger Max Joseph eingestellt wurden, schließlich mehr und mehr in Vergessenheit. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts (ab 1902) lenkte der Musikwissenschaftler Hugo Riemann die Aufmerksamkeit wieder  auf  das seinerzeit so rege, vielseitig inszenierte und bedeutende Musikleben am kurfürstlichen Hof Carl Theodors von der Pfalz und auf die Mannheimer Komponisten, Solisten und ihr berühmtes Orchester —  die „Mannheimer Schule“.

 

 

Literatur und Diskographie (Auswahl)

 

Welck, K. von; Homering, L. (Hrsg.): 176 Tage Mozart in Mannheim. Ausstellungskatalog. Mannheim 1991. Finscher, L. (Hrsg.): Die Mannheimer Hofkapelle im Zeitalter Carl Theodors. Mannheim 1992. Pelker, B.: Zur Struktur des Musiklebens am Hof Carl Theodors in Mannheim. In: Mozart und Mannheim. (Hrsg.: L. Finscher, B. Pelker und J. Reutter). Kongressbericht Mannheim 1991. Frankfurt/M. 1994. Pelker, B.: Mannheimer Schule. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. (Hrsg.: L. Finscher), 2. Aufl., Bd. 5, S. 1646-1662, Kassel 1996. Finscher, L; Pelker, B; Thomsen-Fürst, R. (Hrsg.): Mannheim - Ein Paradies der Tonkünstler?, Kongressbericht Mannheim 1999, 2002. Leopold, S. und Pelker, B. (Hrsg.): Hofoper in Schwetzimgen. Musik - Bühnenkunst - Architektur. Heidelberg 2004. Pelker, B.: »Mozart und die Mannheimer Hofkapelle«, In: Mozart in Mannheim. (Hrsg.: H. Jung). In:  Mannheimer  Hochschulschriften 5, Frankfurt am Main u.a. 2006, S. 1–21.  Pelker, B.: »W. A. Mozart zu Besuch in der Kurpfalz«, In: Theater um Mozart, Heidelberg 2006, S. 59–82. Pelker, B.: »Im ›Paradies der Tonkünstler‹. Die Hofmusik des Kurfürsten Carl Theodor«, In: Geschichte der Stadt Mannheim. (Hrsg.: U. Nieß u. M. Caroli), 1. Bd., 2007, S. 486–500. 


Die Mannheimer Schule. Musik der Frühklassik. Camerata Bern. Ltg.: Thomas Füri. Archiv Produktion 1980 (2 CDs). Sinfonien von Cannabich. Lukas Consort. Naxos 1996 (1 CD).  Musik am Hofe Carl Theodors. Kurpfälzisches Kammerorchester. Ltg.: Jiri Malát und Gerald Kegelmann. Arte Nova Classics 1998 und 1999 (2  CDs). Mannheim: The Golden Age. Concerto Köln. Das Alte Werk. Teldec 1999 (1 CD). Die neueren Audio-CD-Veröffentlichungen zu einzelnen Komponisten der Mannheimer Schule sind zahlreich und sollen hier nicht im Einzelnen aufgeführt werden. Die letzte CD mit 3 Flötenkonzerten von I. Holzbauer  ist  Anfang 2009 bei cpo erschienen.

 

Zum Schluss sei noch darauf hingewiesen, dass anlässlich des 400. Geburtstages der Stadt Mannheim 2007 ein neues Kammerorchester unter dem alten Namen "Mannheimer Hofkapelle" in Mannheim gegründet wurde, das in Originalbesetzung u.a. zur Förderung des Spiels auf Originalinstrumenten unter Beachtung der damaligen Aufführungspraxis beitragen soll.


Copyright, Text und Idee by Manfred Burba (Hrsg.), Einbeck, Stand 02-2000.


 

Nachtrag

Die folgende Grafik stellt die Lebensdaten der anfänglich in Mannheim und später in München am kurfürstlichen Hof Carl Theodors fest angestellten Komponisten übersichtlich dar (Ständige Mitglieder der Hofkapelle).

Übersicht über die Lebensdaten der Mannheimer Komponisten (Quelle: R. Würtz und andere)
Übersicht über die Lebensdaten der Mannheimer Komponisten (Quelle: R. Würtz und andere)

  Die gestrichelten Linien kennzeichnen die Regierungszeit des Kurfürsten Carl Theodor in Mannheim (1743 - 1778) bzw. München (1778 - 1799). Der Mannheimer Hof zog 1778 nach München um. Der aufgehellte Teil der Balken steht für die Mannheimer Zeit der jeweiligen Komponisten (Querstrich = Zeitpunkt des Eintritts in die Hofkapelle) bis in die 3. Generation. Das Todesjahr von Anton Stamitz (nach 1796, vor 1809) steht nicht genau fest. Nicht aufgeführt sind in dieser Grafik die reinen Instrumentalisten und Sänger.

Nach einer Aufstellung der "Hoff-Music" von 1750/51 umfasste das Mannheimer Orchester seinerzeit 2 Konzertmeister, 3 Sängerinnen, 2 Sopranistinnen, 3 Contra-Altisten, 3 Tenöre, 4 Bassisten (darunter F.X. Richter), 2 Organisten, 2 Kapell-meister (J. Stamitz und C. Grua) sowie einen Lautenisten, insgesamt also 58 Musiker (darunter 24 Streicher und 12 Bläser). Im Jahr 1767 waren es 44 Orchestermusiker (26 Streicher und 18 Bläser). Die jährlichen Gehälter lagen 1759 zwischen 700 fl (C. Cannabich) und 1500 fl (I. Holzbauer).

Leopold Mozart verdiente um die gleiche Zeit im Dienst des Erzbischofs als Hofkom-ponist und Vizekapellmeister der Salzburger Hofkapelle vergleichsweise 350 fl jährlich, sein Sohn ab 1779 als Hoforganist 450 fl, wobei ein Gulden nach heutigem Geldwert mit ca. 20 € anzusetzen ist (V. Braunbehrens: Mozart in Wien. 1988).

 

Alternativtext:


  Auf seiner Reise nach Paris, die er zum ersten Mal ohne den Vater (er hatte vom Erzbischof keinen Urlaub bekommen) am 23. September 1777 in Begleitung seiner Mutter von Salzburg aus antrat, war Mannheim nach München und Augsburg die nächste wichtige Station des 21jährigen Wolfgang Amadé Mozart. Die Familie hatte sich diese Reise hart absparen und sogar Schulden machen müssen und erhoffte sich von diesem Unternehmen eine feste Anstellung für ihren Sohn. Nach München, wo man sich einige Tage aufhielt, bis schließlich klar wurde, dass es hier keine freie Stelle (keine "vaccatur") gab, setzte man daher auf die kurfürstliche Residenzstadt Mannheim und seinen kunstliebenden Kurfürsten Carl Theodor erfolgversprechende Erwartungen. Infolgedessen gibt Leopold Mozart seinem Sohn detaillierte Anwei-sungen für die Begegnung mit Freunden (von der ersten gemeinsamen Reise nach Mannheim im Sommer 1763) und mit hochgestellten Persönlichkeiten bei Hof sowie mit dem Kurfürsten selbst. Am 30. Oktober trafen die Mozarts in Mannheim ein.


Fortsetzung folgt!

 

 

CD-Kartei Klassik
Auszug aus meiner Audio-CD-Sammlung Klassik.
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Jan Dismas Zelenka: Ein kurfürstlich-königlicher Musicus und Kirchencompositeur

Die etwas andere Barockmusik aus Dresden

Gedenktafel für Jan Dismas Zelenka in Dresden.
Gedenktafel für Jan Dismas Zelenka in Dresden.

 

Sein musikalisches Vermächtnis sollten sechs „letzte Messen“ (Missae ultimae) werden, nachdem er bereits 18 geschrieben hatte. Nur zwei konnte er noch vollenden, bevor er am 23. Dezember 1745 in Dresden starb. Er nannte seine letzten drei Messen Missa dei patris (1740, Nr. 1, ZWV 19), Missa dei filii (1740, Nr. 2, ZWV 20, nur Kyrie und Gloria) und Missa omnium sanctorum (1741, Nr. 6, ZWV 21). Ob sie zu seinen Leb-zeiten aufgeführt wurden, ist unwahrscheinlich, weil das für eine Aufführung erforderliche Stimmen(Noten)-Material diesmal nicht von ihm erstellt wurde. Wir wissen auch nicht, wie er aussah (es gibt kein authentisches Bildnis von ihm), wie er im täglichen Leben war und welche Fähigkeiten er als ausübender Musiker hatte (z.B. als Orgel- oder Cembalospieler) und wo er genau in Dresden begraben wurde. Für die fehlenden Messen Nr. 3 bis 5 in der Zählung des Komponisten, hat er keine Angaben hinterlassen und seiner wurde 200 Jahre lang vergessen: Jan Lukas Zelenka, der sich später Jan Dismas Zelenka nannte.

Johann Sebastian Bach besaß Abschriften seiner Werke (z.B. das Magnifikat in D-Dur). Er schätzte ihn und hatte ihn vermutlich bei seinem Aufenthalt in Dresden im Sommer 1735 persönlich kennen gelernt. Zelenka teilte mit Bach, Vivaldi u.a. das Schicksal, am Ende seines Lebens ein Vertreter einer überholten Musikrichtung (stile antico) zu sein.

 

Jan Dismas (Lukas) Zelenka wurde am 16. Oktober 1679 in Lounovice (60 km südöstlich von Prag) in Böhmen geboren. Sein Vater, Jirik Zelenka (gest. 1724), war Musiklehrer und Organist. Es ist anzunehmen, dass er bei ihm seinen ersten Musikunterricht erhielt, bevor er bei den Prager Jesuiten auf deren Gymnasium, vermutlich dem Collegium Clementinum, in die Schule ging. Von den acht Geschwistern ergriff nur noch der jüngste Bruder, Jan Kilian, die Musikerlaufbahn.

Die Zeit bis zu seiner nachweislichen Anstellung in der Musikkapelle des Freiherrn Ludwig Joseph von Hartig in Prag als Kontrabassist liegt völlig im Dunkeln und das sind immerhin 20 Jahre seines Lebens. 1710 oder 1711 wurde er in die berühmte Dresdner Hofkapelle August des Starken, Kurfürst von Sachsen und späteren Königs von Polen, aufgenommen, in der viele bekannte Musiker der Zeit angestellt waren, von denen einige auch komponierten (z.B. der Geiger Johann Georg Pisendel, der Lautenist Sylvius Leopold Weiß und der Flötist Johann Joachim Quantz).

 

Der katholisch erzogene Zelenka kam an einen Hof, der erst mit dem politsch motivierten Übertritt des Kurfürsten zum katholischen Glauben (1697) katholisch geworden war. Die übrige Bevölkerung war nach wie vor evangelisch-lutherisch eingestellt, sodass die Katholiken auf den kurfürstlichen Hof begrenzt waren.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, verließ er Dresden nicht mehr. So gewährte der Kurfürst ihm in Begleitung des Kronprinzen zwischen 1716 und 1719 einen Studienaufenthalt bei Johann Joseph Fux in Wien und vermutlich auch in Italien. In Wien war er Lehrer von Johann Joachim Quantz und könnte in Italien auch mit Antonio Lotti, der Beziehungen zum Dresdner Hof hatte und Allessandro Scarlatti, zusammengetroffen sein. 1723 ist er bei den Krönungsfeierlichkeiten von Karl VI. zum böhmischen König in Prag zugegen und spielt während der Festoper „Costanza e Fortezza“ seines Lehrers Fux im Orchester. Außerdem sollte er das von den Prager Jesuiten bei ihm in Auftrag gegebene Werk „Sub olea pacis et palma virtutis“ (Melodramma de St. Wenzeslao, ZWV 175), ein lateinisches Schulspiel mit allegorischem Hintergrund, einstudieren und dirigieren. In diesem Jahr komponiert er auch die meisten seiner Orchesterwerke und vertrat schon den Dresdner Hofkapellmeister Johann David Heinichen, der oft durch Krankheit (Tuberkulose) ausfiel, an der Orgel und komponierte eigene geistliche Werke für ihn, die an der katholischen Hofkirche zur Aufführung kamen. Es wäre folgerichtig gewesen, Zelenka, nach dem Tod Heinichens (1729), die Stelle des Hofkapellmeisters und Hofkomponisten zu übertragen. Aber Zelenkas Bewerbung wurde 1731 übergangen („soll sich gedulden“) und Johann Adolf Hasse, der um 20 Jahre jüngere Stern am europäischen Opernhimmel, mit der Position betraut. Er wurde aber erst 1733 nach dem Tod August des Starken unter seinem Nachfolger, König Friedrich August II. unter Vertrag genommen. Hasse blieb mit seiner Frau, der gefeierten Sopranistin Faustina Bordoni, von 1733 bis 1763 am Dresdner Hof. Von Zelenka, der unverheiratet und vielleicht auch wegen seiner „verschlossenen Wesensart“ eine „eigenwillige Persönlichkeit“ war (nur der Geiger Johann Georg Pisendel scheint ihm näher gestanden zu haben), gibt es zwar keine öffentliche Reaktion auf diesen Affront, aber man muss wohl annehmen, dass er sich zurückgesetzt und übergangen fühlte, zumal Hasse auch zu bestimmten Gelegenheiten Auffüh-rungsrechte für Kirchenmusik an der Hofkirche erhielt, die sonst nur ihm zustanden. Zelenka war seit 1733 „Vizekapellmeister der Kirchenmusik“ (Musica sacra) und auf sein Drängen hin seit 1735 „Kirchen-compositeur“, insgesamt unbedeutende Titel in der musikalischen Hierarchie des Hofes. Seine jährliche Besoldung betrug zum Schluss magere 800 Taler gegenüber 6000 Talern für das Ehepaar Hasse und 7000 Talern (rd. 500 000 €) für den Kastraten Senesino.

 

Etwa 150 Werke (davon 74 datiert und ca. 50 verschollen oder zweifelhaft), vorwiegend Kirchenmusik, sind von Zelenka überliefert. Dabei machen „ … die zwanzig Messen zweifellos den wertvollsten Teil seines Gesamtwerks aus“ (Th. Kohlhase, 1998). Insbesondere betrifft dies Zelenkas letzte fünf Messen, die Missa Sanctissimae Trinitatis von 1736 (ZWV 17), die Missa votiva von 1739 (ZWV 18) und die bereits eingangs erwähnten drei „letzten Messen“ von 1740/41 (ZWV 19 – 21). Sie sind alle im sogenannten „stile misto“, dem gemischten Stil geschrieben, der von Konzert und Oper (und nicht zuletzt von Hasse) stark beeinflusst ist.

Der gläubige Katholik Zelenka stellte sein persönliches Schaffen unter das jesuitische Motto: „Omnium ad majorem Dei gloriam“ und zeichnete seine Partituren mit A:M:D:G. Er starb im Schatten seines Konkurrenten, wenn auch nicht Feindes, Hasse, der für 30 Jahre den musikalischen Zeitgeschmack am Dresdner Hof repräsentierte, resigniert und vereinsamt und von Krankheit geplagt in „… Herrn Täschnermeister Fladens Hause in der kleinen Brüddergasse“ (in der inneren Altstadt in der Nähe seiner Arbeitsstelle), wo heute lediglich eine Gedenktafel an ihn erinnert, s. oben). Es war am Morgen des Heiligen Abends 1745 als man ihn auf dem katholischen Friedhof von Dresden begrub. Sein Grab ist verschollen, nur eine 1996 errichtete Stele erinnert dort an ihn. 

Zelenka ist in seinem Spätwerk (ab ca. 1735) kein typischer Barockkomponist. Bestimmte Abweichungen von der barocken Schreibweise wie häufiger Wechsel zwischen Dur und Moll, "chromatisierte" Harmonik, Querstände, Orchesterunisoni u.a. prägen seinen Spätstil, der auf Äußerlichkeiten und Effekte verzichtet und einen „heftigen Subjektivismus“ und eine tief empfundene Religiosität zum Ausdruck bringt.

Sein vermutlich letztes weltliches Werk ist die Serenata a cinque „Il Diamante“ (ZWV 177). Sie wurde anlässlich der Hochzeit (Hochzeits-Serenata) eines polnischen Prinzen mit einer sächsischen Baroness geschrieben, vom Hofkapell-meister Hasse als Tafelmusik am 28. Februar 1737 aufgeführt und soll abschließend von mir als Einstieg in den schroffen bzw. „bizarren“ Stil Zelenkas (Hagedorn, DIE ZEIT Nr.12, 2011) zum Hören empfohlen werden.

 

  In der Musikwissenschaft hat sich in den letzten 25 Jahren einiges getan für Jan Dismas Zelenka. Es gibt inzwischen eine Reihe von Veröffentlichungen über ihn und viele seiner Werke wurden aufgeführt und auf Tonträgern herausgebracht. (s. das Literatur- und Diskographie-Verzeichnis). Seine Popularität hält sich aber weiterhin in Grenzen. Nur wenige kennen ihn, er gilt eher als Ausnahme, denn bei den heutigen Aufführungen von Barockmusik ist er mit seinen Werken nicht gerade oft vertreten. Man muss aber kein Musikexperte sein, um die Tiefgründigkeit und Ernsthaftigkeit herauszuhören, die von seiner faszinierenden und hochvirtuosen Musik ausgeht. Möge dieser Artikel im "Jahr der Kirchenmusik" 2012 dazu beitragen, seinen Namen und seine außergewöhnliche Musik weiter bekannt zu machen. Der "katholische Bach", wie man Zelenka z.B. im Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon (1998) nennt, gehörte in die erste Reihe der Kirchenmusiker seiner Zeit - und dort steht er bis heute, auch wenn wir uns mit Bach und Händel den Blick für ihn verstellen.

 

 

Literatur und Diskographie:

 

Stockigt, J.B.: Jan Dismas Zelenka (1679 – 1745). A Bohemian Musician at the Court of Dresden. Oxford University Press, Oxford 2000. 

Eine deutschsprachige Biographie über Jan Dismas Zelenka gibt es bisher nicht! Horn, Wolfgang: Zelenka, Jan Dismas. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG), 2. Ausgabe, Bd. 17 (2007), Sp. 1381-1391. Horn, Wolfgang; Kohlhase, Thomas: Zelenka-Dokumentation. Quellen und Materialien. 2 Bde., Breitkopf & Härtel, Wiebaden 1998. Horn, Wolfgang; Kohlhase, Thomas; Landmann, Ortrun; Reich, Wolfgang: Zelenka-Dokumentation. Quellen und Materialien. 2 Bde., Wesbaden 1989. Horn, Wolfgang: Die Dresdner Hofkirchenmusik. Studien zu ihren Voraussetzungen und ihrem Repertoire. Bärenreiter, Kassel und Carus-Verlag Stuttgart, Bd.1, 1987.

In meinem Besitz sind 16 CDs mit 46 weltlichen und geistlichen Werken Zelenkas. Die Aufnahmen datieren von 1978 bis 2001. Die musikwissenschaftlichen Anmerkungen zu den Werken auf den CDs (die Booklets) habe ich zur Abfassung des vorstehenden Artikels verwendet. Die Werke Zelenkas sind in einem „Thematisch-systematischen Verzeichnis der musikalischen Werke“, im Zelenka-Werke-Verzeichnis (ZWV), des Musikwissenschaftlers Wolfgang Reich 1985 chronologisch erfasst worden. Hörbeispiele seiner Werke findet man z.B. unter http://www.youtube.com/watchv=JhVwwgJgNnQ (Sinfonia zu Il Diamante), http://www.lastfm.de/music/Jan+Dismas+Zelenka (div. Titel) und beim Klick auf das folgende CD-Cover:

 

Cover von "Il Diamante" des tschech. Labels Nibiru (2010)
Cover von "Il Diamante" des tschech. Labels Nibiru (2010)