Jan Dismas Zelenka

Ein kurfürstlich-königlicher Musicus und Kirchenkompositeur

 

 

Sein musikalisches Vermächtnis sollten sechs „letzte Messen“ (Missae ultimae) werden, nachdem er bereits 18 geschrieben hatte. Nur zwei konnte er noch vollenden, bevor er am 23. Dezember 1745 in Dresden in der „Kleinen Brüdergasse“ starb. Er nannte seine letzten drei Messen Missa dei patris (1740, Nr. 1, ZWV 19), Missa dei filii (1740, Nr. 2, ZWV 20, nur Kyrie und Gloria) und Missa omnium sanctorum (1741, Nr. 6, ZWV 21). Ob sie zu seinen Lebzeiten aufgeführt wurden, ist unwahrscheinlich, weil das für eine Aufführung erforderliche Stimmen(Noten)-Material diesmal nicht von ihm erstellt wurde. Wir wissen auch nicht, wie er aussah (es gibt kein authentisches Bildnis von ihm), wie er im täglichen Leben war und welche Fähigkeiten er als ausübender Musiker hatte (z.B. als Orgel- oder Cembalospieler) und wo er genau in Dresden begraben wurde. Für die fehlenden Messen Nr. 3 bis 5 in der Zählung des Komponisten, hat er keine Angaben hinter-lassen und er wurde 200 Jahre lang vergessen: Jan Lukas Zelenka, der sich später Jan Dismas Zelenka nannte.

 

Johann Sebastian Bach besaß Abschriften seiner Werke (z.B. das Magnifikat in D-Dur). Er schätzte ihn und hatte ihn vermutlich bei seinem Aufenthalt in Dresden im Sommer 1735 persönlich kennen gelernt. Zelenka teilte mit Bach, Vivaldi u.a. das Schicksal, am Ende seines Lebens ein Vertreter einer überholten Musikrichtung (des stile antico) zu sein.

 

Jan Dismas (Lukas) Zelenka wurde am 16. Oktober 1679 in Lounovice (60 km südöstlich von Prag) in Böhmen geboren. Sein Vater, Jirik Zelenka (gest. 1724), war Musiklehrer und Organist. Es ist anzunehmen, dass er bei ihm seinen ersten Musikunterricht erhielt, bevor er bei den Prager Jesuiten auf deren Gymnasium, vermutlich dem Collegium Clementinum, in die Schule ging. Von den acht Geschwistern ergriff nur noch der jüngste Bruder, Jan Kilian, die Musikerlaufbahn.

 

Die Zeit bis zu seiner nachweislichen Anstellung in der Musikkapelle des Freiherrn Ludwig Joseph von Hartig in Prag als Kontrabassist liegt völlig im Dunkeln und das sind immerhin 20 Jahre seines Lebens. 1710 oder 1711 wurde er in die berühmte Dresdner Hofkapelle August des Starken, Kurfürst von Sachsen und späteren Königs von Polen, aufgenommen, in der viele bekannte Musiker der Zeit angestellt waren, von denen einige auch komponierten (z.B. der Geiger Johann Georg Pisendel, der Lautenist Sylvius Leopold Weiß und der Flötist Johann Joachim Quantz).

 

Der katholisch erzogene Zelenka kam an einen Hof, der erst mit dem politisch motivierten Übertritt des Kurfürsten zum katholischen Glauben (1697) katholisch geworden war. Die übrige Bevölkerung war nach wie vor evangelisch-lutherisch eingestellt, sodass die Katholiken auf den kurfürstlichen Hof begrenzt waren.

 

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, verließ er Dresden nicht mehr. So gewährte der Kurfürst ihm in Begleitung des Kronprinzen zwischen 1716 und 1719 einen Studienaufenthalt bei Johann Joseph Fux in Wien und vermutlich auch in Italien. In Wien war er Lehrer von Johann Joachim Quantz und könnte in Italien auch mit Antonio Lotti, der Beziehungen zum Dresdner Hof hatte und Alessandro Scarlatti, zusammengetroffen sein. 1723 ist er bei den Krönungsfeierlichkeiten von Karl VI. zum böhmischen König in Prag zugegen und spielt während der Festoper „Costanza e Fortezza“ seines Lehrers Fux im Orchester. Außerdem sollte er das von den Prager Jesuiten bei ihm in Auftrag gegebene Werk „Sub olea pacis et palma virtutis“ (Melodramma de St. Wenzeslao, ZWV 175), ein lateinisches Schulspiel mit allegorischem Hintergrund, einstudieren und dirigieren. In diesem Jahr komponiert er auch die meisten seiner Orchesterwerke und vertrat schon den Dresdner Hofkapellmeister Johann David Heinichen, der oft durch Krankheit (Tuberkulose) ausfiel, an der Orgel und komponierte eigene geistliche Werke für ihn, die an der katholischen Hofkirche zur Aufführung kamen. Es wäre folgerichtig gewesen, Zelenka, nach dem Tod Heinichens (1729), die Stelle des Hofkapell-meisters und Hofkomponisten zu übertragen.Aber Zelenkas Bewerbung wurde 1731 übergangen („soll sich gedulden“) und Johann Adolf Hasse, der um 20 Jahre jüngere Stern am europäischen Opernhimmel, mit der Position betraut. Er wurde aber erst 1733 nach dem Tod August des Starken unter seinem Nachfolger, König Friedrich August II. unter Vertrag genommen. Hasse blieb mit seiner Frau, der gefeierten Sopranistin Faustina Bordoni, von 1733 bis 1763 am Dresdner Hof. Von Zelenka, der unverheiratet und vielleicht auch wegen seiner „verschlossenen Wesensart“ eine „eigenwillige Persönlichkeit“ war (nur der Geiger Johann Georg Pisendel scheint ihm näher gestanden zu haben), gibt es zwar keine öffentliche Reaktion auf diesen Affront, aber man muss wohl annehmen, dass er sich zurück-gesetzt und übergangen fühlte, zumal Hasse auch zu bestimmten Gelegenheiten Aufführungsrechte für Kirchenmusik an der Hofkirche erhielt, die sonst nur ihm zustanden. Zelenka war seit 1733 „Vize-kapellmeister der Kirchenmusik“ (Musica sacra) und auf sein Drängen hin seit 1735 „Kirchencompositeur“, insgesamt unbedeutende Titel in der musikalischen Hierarchie des Hofes. Seine jährliche Besoldung betrug zum Schluss magere 800 Taler gegenüber 6000 Talern für das Ehepaar Hasse und 7000 Talern (rd. 500 000 €!) für den Kastraten Senesino.

 

Etwa 150 Werke (davon 74 datiert und ca. 50 verschollen oder zweifelhaft), vorwiegend Kirchenmusik, sind von Zelenka überliefert. Dabei machen „ … die zwanzig Messen zweifellos den wertvollsten Teil seines Gesamtwerks aus“ (Th. Kohlhase, 1998). Insbesondere betrifft dies Zelenkas letzte fünf Messen, die Missa Sanctissimae Trinitatis von 1736 (ZWV 17), die Missa votiva von 1739 (ZWV 18) und die bereits eingangs erwähnten drei „letzten Messen“ von 1740/41 (ZWV 19 – 21). Sie sind alle im sogenannten „stile misto“, dem gemischten Stil geschrieben, der von Konzert und Oper (und nicht zuletzt von Hasse) stark beeinflusst ist.

 

Der gläubige Katholik Zelenka stellte sein persönliches Schaffen unter das jesuitische Motto: „Omnium ad majorem Dei gloriam“ und zeichnete seine Partituren mit A:M:D:G. Er starb im Schatten seines Konkurrenten, wenn auch nicht Feindes, Hasse, der für 30 Jahre den musikalischen Zeitgeschmack am Dresdner Hof repräsentierte, resigniert und vereinsamt und von Krankheit geplagt in „… Herrn Täschnermeister Fladens Hause in der kleinen Brüddergasse“ (in der inneren Altstadt in der Nähe seiner Arbeitsstelle), wo heute lediglich eine Gedenktafel an ihn erinnert). Es war am Morgen des Heiligen Abends 1745 als man ihn auf dem katholischen Friedhof von Dresden begrub. Sein Grab ist verschollen, nur eine 1996 errichtete Stele erinnert dort an ihn. 

 

Zelenka ist in seinem Spätwerk (ab ca. 1735) kein typischer Barock-komponist. Bestimmte Abweichungen von der barocken Schreibweise wie häufiger Wechsel zwischen Dur und Moll, "chromatisierte" Harmonik, Querstände, Orchesterunisoni u.a. prägen seinen Spätstil, der auf Äußerlichkeiten und Effekte verzichtet und einen „heftigen Subjektivismus“ und eine tief empfundene Religiosität zum Ausdruck bringt.

 

Sein vermutlich letztes weltliches Werk ist die Serenata a cinque „Il Diamante“ (ZWV 177, Hochzeits-Serenata). Sie wurde anlässlich der Hochzeit eines polnischen Prinzen mit einer sächsischen Baroness geschrieben, vom Hofkapellmeister Hasse als Tafelmusik am 28. Februar 1737 aufgeführt und soll abschließend von mir als Einstieg in den schroffen bzw. „bizarren“ Stil Zelenkas (Hagedorn, DIE ZEIT Nr.12, 2011) zum Hören empfohlen werden (https://www.youtube.com/-watch?v=b8TfgA_FIzg. Prague Baroque Soloists & Ensemble Inégal. Leitung: Adam Viktora).

 

 

 

  In der Musikwissenschaft hat sich in den letzten 25 Jahren einiges getan für Jan Dismas Zelenka. Es gibt inzwischen eine Reihe von Veröffentlichungen über ihn und viele seiner Werke wurden aufgeführt und auf Tonträgern herausgebracht. (s. das Literatur- und Diskographie-Verzeichnis). Seine Popularität hält sich aber weiterhin in Grenzen. Nur wenige kennen ihn, er gilt eher als Ausnahme, denn bei den heutigen Aufführungen von Barockmusik ist er mit seinen Werken nicht gerade oft vertreten. Man muss aber kein Musikexperte sein, um die Tiefgründigkeit und Ernsthaftigkeit herauszuhören, die von seiner faszinierenden und hochvirtuosen Musik ausgeht. Möge dieser Artikel im "Jahr der Kirchenmusik" 2012 dazu beitragen, seinen Namen und seine außergewöhnliche Musik weiter bekannt zu machen. Der "katholische Bach", wie man Zelenka z.B. im Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon (1998) nennt, gehörte in die erste Reihe der Kirchenmusiker seiner Zeit - und dort steht er bis heute, auch wenn wir uns mit Bach und Händel den Blick auf ihn verstellt haben sollten.   

  

 

Literatur und Diskographie:

 

Stockigt, J.B.: Jan Dismas Zelenka (1679 – 1745). A Bohemian Musician at the Court of Dresden. Oxford University Press, Oxford 2000. 

Eine deutschsprachige Biographie über Jan Dismas Zelenka gibt es bisher nicht! Horn, Wolfgang:  Zelenka, Jan Dismas. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG), 2. Ausgabe, Bd. 17 (2007), Sp. 1381-1391. Horn, Wolfgang; Kohlhase, Thomas: Zelenka-Dokumentation. Quellen und Materialien. 2 Bde., Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 1998. Horn, Wolfgang; Kohlhase, Thomas; Landmann, Ortrun; Reich, Wolfgang: Zelenka-Dokumentation. Quellen und Materialien. 2 Bde., Wiesbaden 1989. Horn, Wolfgang: Die Dresdner Hofkirchenmusik. Studien zu ihren Voraussetzungen und ihrem Repertoire. Bärenreiter, Kassel und Carus-Verlag Stuttgart, Bd.1, 1987.

 

In meinem Besitz sind 16 CDs mit 46 weltlichen und geistlichen Werken Zelenkas. Die Aufnahmen datieren von 1978 bis 2001. Die musikwissenschaftlichen Anmerkungen zu den Werken auf den CDs (den Booklets) habe ich zur Abfassung des vorstehenden Artikels verwendet. Die Werke Zelenkas sind in einem „Thematisch-systematischen Verzeichnis der musikalischen Werke“, im Zelenka-Werke-Verzeichnis (ZWV), des Musikwissenschaftlers Wolfgang Reich 1985 chronologisch erfasst worden.