Ein biographisches Rätsel

 

Der folgende Text, zur Unterhaltung und Aufklärung gedacht, beschreibt Leben, Werk und Bedeutung zweier sehr bekannter Brüder und Sprachforscher aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die schon früh beschlossen, sich niemals zu trennen und immer gemeinsam durchs Leben zu gehen, was sie bis zu ihrem Tod auch durchgehalten haben.

Das kleine Rätsel ihrer Identität werden Sie schnell lösen, wenn Sie den Text aufmerksam lesen und auch scheinbar unwichtige Einzelheiten dabei nicht übergehen. Ich kann Ihnen versichern, dass Ihnen die beiden schon begegnet sind, wenn auch nicht persönlich, so doch in ihren gesammelten Geschichten, auch wenn das möglicherweise schon etwas zurück liegt - und nun viel Spaß beim Rätselraten!

 

Die unzertrennlichen Brüder


Jacob und Wilhelm waren Brüder, die sich nur selten über längere Zeit getrennt, geschweige denn weit voneinander entfernt gelebt haben. Sie waren unzertrennlich und blieben ein Leben lang zusammen.

 

Während Jacob, der um ein Jahr ältere, ein scharfsinniger und gelehrter Intellektueller war, der sein Junggesellenleben am liebsten zurückgezogen und einsiedlerisch führte, war Wilhelm gemütvoll, gesellig und charmant, bewegte sich frei und gern in der Gesellschaft und war nicht nur bei seinen Studenten beliebt. Allerdings war er von schwacher Gesundheit und oft krank. In ihrem Naturell waren sie zwar ungleiche Brüder, aber „eine innere Einigkeit der Gegensätze“ (Wilhelm) bestimmte ihre Wohn-, Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, die ein Leben lang Bestand hatte.

 

Sie wurden in Hanau geboren und besuchten, um ein Jahr versetzt, dieselben Schulen in Steinau, wo der Vater Amtmann geworden war, und Hanau, dasselbe Gymnasium (das Lyceum Fridericianum) in Kassel und studierten zusammen an der Universität Marburg die Rechte. Hier kamen sie in Berührung mit Clemens Brentano, Achim von Arnim sowie anderen romantischen Dichtern, später auch mit Bettine Brentano, verheiratete von Arnim. Nach ihren Studienjahren und einer schwierigen Zeit, als die Franzosen ganz Hessen besetzten (1806 – 1813), dienten sie ab 1814 bzw. 1816 gemeinsam denselben Dienstherren und Institutionen in ähnlichen Anstellungen in Kassel (als Bibliothekare der Hessischen Landesbibliothek, ihre „glücklichsten Jahre“), in Göttingen (als Bibliothekare und Professoren der Universität) und in Berlin (als Mitglieder der Preußischen Akademie der Wissenschaften). Sie lebten zunächst mit ihrer Schwester Charlotte („Lotte“) zusammen, später mit Wilhelms Ehefrau Dorothea („Dortchen“) in einem gemeinsamen Haushalt. Sie hatten gemeinsame Interessen und Anschauungen, arbeiteten auf verwandten Gebieten und ihr Verhältnis war von inniger Zuneigung, Achtung, Verständnis und gegenseitiger Fürsorge bestimmt. Als ihr hannoverscher Landesherr, König Ernst August II von Hannover, 1837 die Verfassung des Landes brach, protestierten sie öffentlich mit anderen und verloren ihre Ämter und ihre Lebensgrundlage und mussten das Land verlassen. Freunde setzten sich für sie ein und ermöglichten ihnen 1841 einen Neuanfang auf nunmehr gesicherter finanzieller Grundlage in Berlin. In ihren zahlreichen Veröffentlichungen traten sie oft gemeinsam auf und arbeiteten ab 1838 an demselben Projekt: Ein Wörterbuch der deutschen Sprache. Es sollte den gesamten neuhochdeutschen Wortschatz „von Luther bis Goethe“ umfassen und erschließen und wurde erst 1960 vollendet. Als Wilhelm 1859 starb, verbrachte Jacob noch 4 Jahre ohne „die Hälfte von mir“ - wie er sich in einem Brief ausdrückte - in Berlin, bis er mit dem geliebten Bruder auf dem Alten St. Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg wieder vereinigt war.

 

Wer weiß, ob die beiden Sprach- und Literaturwissenschaftler heute noch so allgemein bekannt wären, wenn außer ihrem Interesse an mittelalterlicher Literatur, Poesie, Grammatik, Recht, germanischer Mythologie usw. nicht auch noch eine weitere Sammelleidenschaft für mündlich überlieferte Erzählungen hinzu gekommen wäre? Diese Geschichten wurden mittlerweile in mehr als 160 Sprachen übersetzt, sind bis heute „überall zu Hause“ und 2005 nahm die UNESCO auf Antrag einer in Kassel gegründeten Gesellschaft zur „Pflege ihres persönlichen und wissenschaftlichen Erbes“ das Originalmanuskript in ihr Weltdokumentenerbe auf. Einen Weltbestseller würden wir heute sagen! So berühmt wie „Max und Moritz“ mit Illustrationen ihres jüngeren „Malerbruders“ in einer der volkstümlichen Kleinen Ausgaben.

 

In Göttingen, wo sie sieben Jahre ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit nachgegangen sind und wohin sie natürlich nur gemeinsam berufen werden wollten, erinnern eine Gedenktafel an der Stelle ihres ehemaligen Wohn- und Kollegienhauses in der Goetheallee 923a (heute Haus-Nr. 6), ein Gedenkstein, eine Schule und ein Straßenname an die Begründer und Namengeber der modernen Germanistik. Ein gemeinsames Denkmal für die damals schon international bekannten Brüder, wie für andere Größen der Stadt (wie z.B. für Carl Friedrich Gauß und Wilhelm Weber, Friedrich Wöhler, Gottfried August Bürger und Georg Christoph Lichtenberg) gibt es allerdings nicht. Darin teilen sie das Schicksal des Dichters Heinrich Heine, einem anderen Kurzzeit Göttinger und jüngeren Zeitgenossen ohne Denkmal, der sie bewunderte und schätzte. Aber das ist eine andere Geschichte.

 

Ich hoffe, lieber Leser, man muss kein Detektiv sein, um heraus zu finden, wer die beiden Brüder auf dem obigen »Steckbrief« sind, die sich schon 1805 am Anfang ihrer Laufbahn versprachen „wir wollen uns einmal nie trennen“ (Jacob) und denen wir nicht nur die wissenschaftlichen Grundlagen der Germanistik (Sprach- und Literatur- wissenschaft), sondern auch die schönsten Geschichten unserer Kindheit verdanken.

 

Wie heißen die beiden unzertrennlichen Brüder, die seit ihrer Kindheit eine überaus enge und liebevolle Beziehung zueinander hatten, die schließlich nur der Tod beenden konnte?

 

 

Die Auflösung des Rätsels finden Sie unter (→ Impressum).