CGA-Fernstudium "Literarisches Schreiben"

 

Das Fernstudium "Literarisches Schreiben" an der Cornelia Goethe Akademie in Frankfurt umfasst ein zweisemestriges Studium auf der Basis von 12 Lehrheften zu 4 Bänden mit über 70 Übungsaufgaben. Die Studenten werden von einem Lektor betreut, dem sie etwa die Hälfte der Aufgaben per EMail nach und nach zur Beurteilung zuschicken. Am Ende des Studiums steht eine Abschlussarbeit (Erzählung oder Gedicht), die gemeinsam mit den Arbeiten anderen Absolventen bzw. Autoren in einem Taschenbuch "Der Frankfurter literarische Lustgarten" veröffentlicht wird, außerdem wird ein Schriftsteller-Diplom verliehen.

 

 

Ich stelle hier verschiedene Aufgaben, die ich während meines Studiums von Anfang August 2010 bis Ende Juli 2011 bearbeitet habe in lockerer Folge vor. Es handelt sich um Prosatexte, mit denen ich mich bisher nur wenig beschäftigt hatte. Der erste Text war das vorstehende biographische Rätsel "Die unzertrennlichen Brüder", der folgende Text ist eine Parodie auf prunk- und geltungssüchtige Diktatoren vom Schlage Muammar al-Gaddafi.

 

Die Uniform des ehemaligen Diktators

 

Ein Diktator, der von seinem Volk wegen übermäßiger Prunksucht und Selbstherrlichkeit davon gejagt wurde, flieht in ein befreundetes Land, das ihm Asyl gewährt. Das Geld, das ihm zum Leben bleibt, ist nach wenigen Jahren aufgebraucht. Um seinen Unterhalt selbst zu verdienen und dem Gastland nicht auf der Tasche zu liegen, versucht er sich in verschiedenen Jobs, muss aber am Ende ein Angebot der Regierung annehmen, als ehemaliger Diktator im Staatszirkus aufzutreten und sich dort allabendlich in seiner farbenprächtigen Phantasieuniform, die er früher bei Militärparaden, Auslandsreisen, Staatsempfängen usw. getragen und aus diesen Zeiten aufbewahrt hatte, vom Zirkuspublikum bestaunen zu lassen. Es kommen viele Besucher, die ihn aus seiner Glanzzeit noch kannten, um ihn zu sehen und seine Zirkusnummer wird wegen dieser Attraktion im ganzen Land berühmt. Selbst die Shows mit exotischen und gefährlichen Tieren, mit den Artisten ohne Netz oder die sonst so beliebten zweideutigen Späße der Clowns reichen an die Sensation und Einzigartigkeit seines Auftritts nicht heran. Es genügt, wenn er in der Manege hin und her geht, lächelt oder dem Publikum zuwinkt, um einen Sturm der Begeisterung auszulösen. Keinem anderen, auch keinem Mitglied der Regierung, wird eine solche Sympathie von der Bevölkerung entgegen gebracht. Er verdient dabei nicht schlecht und ist auf seine Weise sogar zufrieden, denn diese neue Aufgabe kommt seinem ungestillten Geltungsbedürfnis sehr entgegen und auch der subventionierte Staatszirkus kommt durch ihn wieder auf seine Kosten.

Während einer dieser Zur-Schau-Stellungen wird er von einem Attentäter aus den Reihen der Zirkusbesucher erschossen. Man glaubte zunächst beim Knall des Schusses an die Ankündigung einer neuen Sensation durch die Zirkuskapelle. Als der Täter aber in die Manege stürmt und den ehemaligen Diktator bis auf Hemd und Unterhose seiner Kleidung entledigt, wird er mit den noch warmen Kleidungsstücken des entblößten Diktators festgenommen und von der allgegenwärtigen Polizei befragt.

Bei der Vernehmung gibt er den ungläubigen Beamten zu Protokoll, dass er es nur auf die Uniform des Diktators mit all den Orden und Ehrenzeichen abgesehen hatte, die für eine von ihm angefertigte und zu Hause bereit stehende Wachsfigur des Diktators gedacht war. Dass es sich bei seinem Geständnis nicht um eine Schutzbehauptung handelte, bestätigt sich bei einer Hausdurchsuchung. In seiner Wohnung hatte er den landesweit bekannten Diktator aus dem Staatszirkus bis auf die Kleidung als Wachfigur nachgebildet und wollte sie abschließend durch seine Originaluniform vervollständigen.

Ein gewisser Verdacht einer politischen Motivation seiner Tat blieb jedoch bestehen, man vermutete weitere Beteiligte und Mitwisser der Tat, doch ließ sich die Existenz derartiger Personen oder eine persönliche Verbindung zwischen Opfer und Täter nicht nachweisen. Trotzdem fiel es dem Gericht schwer, seine vorgebrachten Erklärungen zu glauben, denn sie entsprachen nicht dem, was sie sich als Tatmotiv vorstellen konnten.

 

Schließlich wird er als Spinner und Exzentriker abgetan und nach einem längeren Schauprozess unter großer Beteiligung der Öffentlichkeit, die jetzt um ein Spektakel ärmer ist, des vorsätzlichen Mordes aus eigennützigen Gründen für schuldig befunden und zum Tode verurteilt.

Während man den ehemaligen Diktator mit allen militärischen Ehren und wiederum unter großer Beteiligung der Bevölkerung beisetzt, wird der vermeintliche Attentäter und Hobby-Wachsfigurenpräparator unter Ausschluss der Öffentlichkeit gehängt.

Die um seine Uniform vervollständigte Wachsfigur des ehemaligen Diktators geht aus seinem Besitz in Staatsbesitz über und kann von der Bevölkerung in einem von der Regierung hergerichteten Raum des von ihr subventionierten Landeskundlichen Museums besichtigt werden.

Die wenigen bekannt gewordenen Proteste gegen die Ausstellung des ehemaligen Diktators hielten sich in Grenzen. Sie fanden in der Bevölkerung kein Gehör und wurden nicht unterstützt. Das überraschte bei der großen Beliebtheit und Bekanntheit des ehemaligen Diktators niemanden. Trotzdem gab es Gerüchte über einen Polizeieinsatz gegen Demonstranten.

Auf dem, an seiner ehemaligen Galauniform angebrachten Hinweisschild für den ermordeten ehemaligen Diktator, das die Einschussstelle auf seiner Uniform geschickt verdeckt, liest man:

 

Dieser lebensecht nachgebildete, ehemalige Diktator wurde das Opfer eines fanatischen Attentäters. Seine im Original erhaltene und hier ausgestellte Uniform ist eine besondere Sehenswürdigkeit. Sie steht für Macht und Glanz des von ihm bis zum Schluss repräsentierten Regimes.“

 

Die ungewohnt lange Menschenschlange vor dem Landeskundlichen Museum, die sich dort tagtäglich aufbaut, zeugt von der anhaltenden Popularität des ehemaligen Diktators und von dem Interesse der Leute an phantasievollen Uniformen, die sie am liebsten wohl selbst hätten, zumindest aber einmal berühren möchten, wenn es da nicht diesen Hinweis auf dem Schild gäbe, den man auch auf anderen Ausstellungen unter Exponaten findet, um dem Berührungsdrang von Besuchern entgegenzuwirken: „Bitte nicht anfassen!“ Es hätte dieses Schildes aber gar nicht bedurft, weil sich ohnehin niemand traute, gegen diese Warnung zu verstoßen, aus Angst, bei den Aufsehern oder bei der Museumsleitung angeschwärzt zu werden. Außerdem vermutete man in dem täglichen Gedränge zu viele Übereifrige, die einen solchen Verstoß gegen die Museumsrichtlinien nicht ohne Widerspruch hingenommen hätten.

Ob sich aber auch ein entschlossener Wiederholungstäter von dieser Vorsichts-maßnahme abhalten ließe, seine Finger auszustrecken und dabei lang zu machen, um die Uniform oder zumindest einen der vielen Orden in seinen Besitz zu bringen, ist fraglich. Die mit dem ehemaligen Diktator sympathisierende Regierung hat jedenfalls vorsorglich ein anonymes Bürgertelefon für solche Fälle eingerichtet. Doch es kam anders.

Als eines Nachts die Klimaanlage des Museums ausfiel und die Temperatur in den Ausstellungsräumen weit über die zulässige Grenze stieg, fand man am nächsten Morgen die bis auf einen kleinen Rest geschmolzene und abgebrannte Wachsfigur des ehemaligen Diktators auf dem Boden als hässlichen schwarzen Fleck wieder. Zu einem größeren Brand kam es glücklicherweise nicht, aber die viel bewunderten Kleidungsstücke des ehemaligen Diktators waren für alle Zeiten verloren und das Museum musste vorübergehend geschlossen werden. Regierung und Bevölkerung bedauerten den Vorfall, die Demonstranten jubelten insgeheim. Für sie hatte sich die Angelegenheit von selbst erledigt. Es war in der Presse von Brandstiftung, von einem Anschlag, von einem Racheakt usw. die Rede; konkrete Hinweise darauf gab es aber nicht.

Im Volk halten sich aber seitdem über das gewaltsame Ende des ehemaligen Diktators verschiedene Legenden, in denen die angeblich vor dem Brand unter mysteriösen Umständen gestohlene Uniform des ehemaligen Diktators eine zentrale Rolle spielen. Es würde mich aber bei der Mentalität meiner Landsleute nicht wundern, wenn sie eines Tages in einem anderen Arrangement und neu herausgeputzt wieder auftaucht.