Paula Modersohn-Becker

"Ich glaube, ich habe etwas vollbracht, was gut ist."

 

 

 

Paula Modersohn-Becker um 1904
Paula Modersohn-Becker um 1904

Dieses Zitat aus einem Brief an die Mutter vom Mai 1906 stammt von Paula Modersohn-Becker, deren hundertjähriger Todestag (Foto, gest. 1907 mit 31 Jahren) gerade vorüberging.

Zu Lebzeiten und noch viele Jahre danach stand sie mit dieser Meinung und ihrem Werk allein. Wenige, darunter ihr Ehemann, Otto Modersohn, selbst gestandener Landschaftsmaler in Worps- wede, machten davon eine Ausnahme. "Ich freue mich meiner Paula, die eine wirklich große Malerin ist" schreibt er im März 1902 und nach ihrem frühen Tod: "Paula wächst immer mehr, sie steht als eine der größten Künstlerinnen da, das wußte und ahnte ich lange ..." (Juli 1908).

In einer Schaffensperiode von weniger als 10 Jahren entstanden 750 Gemälde und weit über 1000 Zeichnungen. Ihre Themen sind zunächst Landschaften, dann Kinderbildnisse sowie Porträts und Selbstbildnisse, Stillleben und schließlich das Thema "Mutter und Kind" (vgl. die folgenden Abbildungen). Mit diesen Werken steht sie am Anfang der Modernen Kunst in Deutschland.

 

Worpsweder Landschaft, um 1900
Worpsweder Landschaft, um 1900

"Frische und Lebenslust" und ein "wahrhaft sprühendes Temperament" die Otto Modersohn ihr im Oktober 1900 bescheinigt, wechseln ab mit Phasen der Melancholie und des Rückzugs in die Einsamkeit, dem Drang des "Mit-sich-allein-sein-Wollens" (in Paris und in ihrem Atelier bei Bauer Brünjes in Worpswede), sie fühlt sich oft "ernst und schwer, ernst und traurig" wie sie im April 1900 ihrem Tagebuch anvertraut. In seinen "Erinnerungen an Paula Modersohn" von 1927 schreibt Bernhard   Hoetger, der befreundete Bildhauer: "... ihr Leben, ihre Tat selbst war einsam und blieb einsam ... sie war innerlich selig in ihrer Arbeit." Als Künstlerin hat sie einen geradezu fanatischen Willen und Ehrgeiz, ihre künstlerische Entfaltung zielstrebig voranzutreiben, was eng mit ihrer menschlichen Entwicklung verbunden war, die sie unabhängig von den gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit selbstbewusst und konsequent verfolgte. Sie lebte ihrem "inneren Gesetz gemäß", was schon Marc Aurel in seinen "Selbstbetrachtungen" für die "Aufgabe des Lebens" hielt.

 

Mädchen mit Katze, 1903
Mädchen mit Katze, 1903

Ihr künstlerisches Ziel war "Die große Einfachheit der Form ..."  zu finden (Tagebucheintrag vom 25. Februar 1903) und die Gegenstände ihrer Bilder von innen heraus mit dem Gefühl zu erfassen und wahrheitsge- mäß darzustellen, denn "... die persönliche Empfin- dung ist die Hauptsache. Wenn ich die erst festgelegt habe, klar in Form und Farbe, dann muß ich von der Natur das hineinbringen, wodurch mein Bild natürlich wirkt ..." schreibt sie am 1. Oktober 1902 in ihr Tagebuch. Auf dieser Grundlage entwickelte sie eine eigenständige Bildsprache, die keiner bestimmten Kunstrichtung zuzuordnen ist, aber neben Ausdrucks- formen früherer Kunstepochen Elemente des Expressionismus, Fauvismus und Kubismus enthält bzw. vorwegnimmt. Sie entfernte sich damit immer mehr von den Malern der "Worpsweder Künstler- kolonie" und ihren genrehaften Darstellungen von Landschaften und bäuerlichem Milieu, denen sie zunächst nahe gestanden hatte.

 

Selbstbildnis, 1905
Selbstbildnis, 1905

Die Rezeption von Paula Modersohn-Beckers Werk wurde anfangs "ganz im Schatten der Kunst ihres Mannes ... [gesehen und] ... ihr zu Monumentalität und Abstraktion drängender Ausdrucksstil ... allgemein als hölzern und dilettantisch empfunden (Murken-Altrogge).

Dass die Malerin "... ein ernstes und starkes Talent ..." sei und in ihren Bildern "eine ungewöhnliche Energie lebt, ein höchst kultivierter Farbensinn und ein starkes Empfinden ..." wie Gustav Pauli, Direktor der Bremer Kunsthalle und später (1919) ihr erster Biograph, 1906 in den "Bremer Nachrichten" schreibt, war damals eine ungewöhnliche und mutig vorgetragene Meinung. Erst viele Jahre später setzte sich seine Erkenntnis allgemein durch. Heute ist ihre kunstgeschichtliche Bedeutung für die moderne Malerei in Europa unbestritten und sie ist die berühmteste deutsche Malerin des 20. Jahrhun- derts. Ihre Bilder gehören inzwischen zum festen Bestand vieler Museen in der ganzen Welt. Aber auch uns erschließt sich ihr Werk nicht auf den ersten Blick hin. Es verlangt uns weit mehr ab, um die Größe ihrer Kunst in ihrer "einfachen Schönheit" zu erkennen und zu lieben.

 

Stilleben mit Äpfeln, 1906
Stilleben mit Äpfeln, 1906

Fasziniert von ihrem Leben als Frau und Künstlerin habe ich diesen Bericht geschrieben. Sie hat mich mit ihrer Lebensführung und mit ihren Werken in Unruhe versetzt, der ich seitdem nachgehe, um die tieferen Ursachen dafür zu ergründen. Ich dringe über ihre Bilder und Selbstzeugnisse in ihr Leben ein und versuche, ihr näher zu kommen - aber warum gebe ich mir mit dieser Frau und ihrer Kunst eigent- lich so viel Mühe? Wohin führt mich das alles und was ist es, was mich dazu antreibt, ihr auf ihrem Weg in die selbstgewählte Einsamkeit und Stille zu folgen, die auch ihr späterer Freund Rainer Maria Rilke immer wieder suchte, um schöpferisch tätig sein zu können? Findet man dort vielleicht "dieselbe Vision" von einem Kunstwerk, die beide miteinander verband (Wendt) und die sie in ihrer jeweiligen Kunst verwirklichen wollten?

 

Liegende Mutter mit Kind II, 1906,
Liegende Mutter mit Kind II, 1906,

Literatur:

Biermann, G.: Paula Modersohn. Verlag Klinkhardt & Biermann. Junge Kunst. Bd. 2, Leipzig und Berlin, 1927. Busch, G. und von Reinken, L. (Hrsg.): Paula Modersohn-Becker in Briefen und Tagebüchern. S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1979. Steenfatt, M.: Ich, Paula. Die Lebensgeschichte der Paula Modersohn-Becker. Beltz Verlag, Weinheim und Basel, 1983. Murken-Altrogge. C.: Paula Modersohn-Becker. DuMont Buchverlag, Köln, 1991 und 2004. Bohlmann-Modersohn, M.: Paula und Otto Modersohn. Rowohlt Taschenbuch Verlag. Reinbek bei Hamburg, 2003. Berchtig, F.: Künstlerkolonie Worpswede. Prestel Verlag, München, 2006. Ueckert, C.: Paula Modersohn-Becker. Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH. Rowohlt Monographie 50567. Reinbek bei Hamburg, 2007. Leben! Paula Modersohn-Becker in Worpswede 1.7.2007 bis 24.2.2008. Spuren, Räume, Interventionen. Broschüre herausgegeben anlässlich des 100. Todestages, Worpswede, 2007. Wendt, G.: Clara und Paula. Das Leben von Clara Rilke-Westhoff und Paula Modersohn-Becker. Piper Verlag GmbH, München, 2007, und weitere Neuerscheinungen 2007.

 

Anmerkungen zum Text:

 

Christa Murken-Altrogge (Biographin): "... das gefällt mir gut, was sie da über PMB schreiben." Frank Laukötter (Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen): "... danke für Ihre E-Mail und den Text, der so in Ordnung ist." 


Vorankündigung einer Ausstellung von Bildern von Paula Modersohn-Becker und anderen Künstlerinnen im Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen vom 20. Oktober 2013 bis zum 2. Februar 2014
Vorankündigung einer Ausstellung von Bildern von Paula Modersohn-Becker und anderen Künstlerinnen im Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen vom 20. Oktober 2013 bis zum 2. Februar 2014