Oliven mattes Grün
Gedichte aus: Oliven mattes Grün, 2009, S. 18 - 26
Die vier Deserteure
Sie lehnten zu viert an der Bunkerwand,
entschlossen, den Ausbruch zu wagen,
die Waffen entsichert, um kurzerhand
gemeinschaftlich loszuschlagen.
Der erste, ein Leutnant und Pionier,
der wurde in Russland verwundet
und hatte den Fluchtweg für alle vier
entworfen und selbst erkundet.
Der zweite Verschwörer war Reservist,
der älteste Kämpfer von allen.
Er sollte mit einer heimlichen List,
den Wachposten überfallen.
Der dritte kam aus dem Strafbataillon
(er nannte die Nazis verlogen)
und traf sich im Bunker mit seinem Sohn,
den hatten sie eingezogen.
Der junge Pimpf war als vierter dabei
und machte dem Vater zu schaffen.
Er glaubte an Hitler und sein Geschrei
von Endsieg und Wunderwaffen.
Die anderen aber glaubten an nichts
als an Flucht vor Tod und Verderben.
Sie mussten am Galgen und angesichts
des kleinen Verräters sterben.
4. Platz im Lyrikwettbewerb 2008 von LITERATURPODIUM.
Die ganze Wahrheit
»Mit Wissenschaft lebt man bequem
und kann sich über nichts beklagen;
es gibt so gut wie kein Problem«,
hört man die Wissenschaftler sagen.
Nur manchmal reden sie jedoch
von Pannen, Risiken und Toten,
die lägen aber alle noch
im Rahmen ihrer Fehlerquoten.
Doch keiner kennt sich so genau
und gründlich aus mit den Gefahren,
da wird wohl erst ein Super-GAU
die ganze Wahrheit offenbaren.
Mozart forever
Für seine Fans ist er der Größte
und längst auch eine Kultfigur
und gar nicht wieder wegzudenken
aus Werbung, Handel und Kultur.
Man hört und spielt ihn alle Tage,
und das nun schon zweihundert Jahr,
die Welt vergöttert seine Werke
und feiert ihn als Superstar.
Für seine früheren Kollegen,
die gab es einst in großer Zahl,
war er nur einer unter vielen
und manchmal auch nur zweite Wahl.
Sie waren starke Konkurrenten
und auf der Höhe ihrer Zeit,
bekannt, beliebt und sehr erfolgreich
beim Volk und bei der Obrigkeit.
Jetzt sind sie allesamt vergessen,
man jubelt nur noch Mozart zu,
und keiner kann sich mehr erinnern
an Dittersdorf und Koželuh.
Heimat du fremdes Land
Zum 20. Todestag von Erich Fried
Sie haben dir den Vater totgeschlagen,
in Wien, von der Gestapo inhaftiert.
Er wurde sterbend euch nach Haus getragen,
misshandelt und von einem Kellner denunziert.
Stumm habt ihr in Simmering begraben.
Es war ein Trauma, das für immer blieb.
Sie wollten Juden in der Stadt nicht haben
und drangsalierten sie, bevor man sie vertrieb.
In London hast du deinen Weg gegangen
als Dichter aus Protest und Rebellion.
Du hast dein Leid in Worte eingefangen
und Lyrik schreiben wurde deine Profession.
Von dort bist du nicht wieder heimgekommen,
zerrissen war das familiäre Band.
Sie haben Vater dir und Vaterland genommen
und deine Heimat war hinfort ein fremdes Land.
Doch gingst du in Gedanken durch den Prater,
zur Wasagasse oder an den Kai
und dachtest an die Kindheit und den Vater,
dann taten dir die alten Wunden wieder weh.
Notstand
Für Erich Fried
Als die Täter
vor ihren Opfern standen,
beriefen sie sich auf
Notstandsbefehle.
Als die Täter
vor ihren Richtern standen,
beriefen sie sich auf
Befehlsnotstand.
Worauf werden wir uns berufen,
wenn es der Notstand erfordert,
Befehle zu befolgen,
die uns zu Mördern machen?