Wolken im Wandel

Gedichte aus: Wolken im Wandel, 2008, S. 113 – 117

 


Sonett an Heine

 

 

Ich wollte immer schon mal ein Sonett verfassen!

Ich weiß, Sonette sind nicht mehr in Mode,

wie auch die Hymne, Elegie und Ode,

doch wollte ich mich dadurch nicht beirren lassen!

 

Nach einem Vorbild suchte ich bei Heinrich Heine.

Ich dachte, der schrieb viele schöne Lieder,

da findest du bestimmt Sonette wieder,

doch ach, ich fand des Dichters leblose Gebeine!

 

Sie waren aufgebahrt in einem dunklen Zimmer,

dort lag er ohne jeden Hoffnungsschimmer

und reimte noch wie einst mit Witz und Ironie:

 

der beste Humorist der deutschen Poesie!

Ich wusste nicht, ob weinen oder lachen

und wie aus alledem noch ein Sonett zu machen?

 

 

 

Vor der Drogerie


 

Er sitzt mit langen Haaren

und Stiefeln bis zum Knie

als Penner schon seit Jahren

vor einer Drogerie.

 

Dort trinkt er immer wieder

und redet vor sich her,

streckt von sich alle Glieder

im dichtesten Verkehr

 

und schläft bei leeren Flaschen

am Ende schließlich ein,

die Hände in den Taschen,

der Kopf voll Bier und Wein.

 

Den Leuten ist es peinlich,

wie er sich präsentiert,

sie hätten’s lieber heimlich

und nicht so ungeniert.

 

Er aber bleibt der Gleiche,

ein Trinker bis ans Grab,

nur über seine Leiche

bringt man ihn davon ab.

 

 


Aus dem Unbewussten

 

 

Wir sind an manchen Tagen

und wissen nicht warum,

nur schwerlich zu ertragen

als Individuum.

 

Da bleibt uns nichts verborgen,

geschärft ist der Verstand,

es stört uns schon am Morgen

die Fliege an der Wand.

 

Erst streiten wir zu Hause

und später im Büro,

dann in der Mittagspause

und immer weiter so.

 

Beherrscht von dem Verlangen

nach Recht um jeden Preis,

sind wir alsbald gefangen

in einem Teufelskreis.

 

Der Anlass ist meist nichtig,

der Ärger riesengroß,

nur das allein scheint wichtig:

wie werden wir ihn los?

 

So kommt, was kommen musste,

wenn man es unterdrückt,

dann spielt das Unbewusste

gelegentlich verrückt.

 

 

 

Ein geregeltes Leben

 

 

Sie steht als Köchin in der Werkskantine

mit einem weißen Häubchen auf dem Haar,

und ihr Gesicht zeigt immer noch die gleiche Miene,

mit der sie früher auch schon rumgelaufen war.

 

Sie liebt den Koch und seine losen Sprüche

und schwärmt für Rock’n’Roll und Mickey Mouse;

tagsüber hilft sie ihm beim Kochen in der Küche,

und abends nimmt sie ihn zum Schlafen mit nach Haus.

 

Sie träumt vom Eigenheim und Kinderkriegen,

und was man sonst noch alles so begehrt,

und wie sie auf Mallorca in der Sonne liegen,

und dass sich keiner mehr beim Küchenchef beschwert.

 

Sie führt ein Leben, wie es viele führen,

nach einem allgemein beliebten Plan

und wird wohl erst in einem andern Leben spüren:

mit Arbeit, Lust und Wohlstand ist es nicht getan.